Trans-Atlantik Foto-Galerie (120 Fotos / 480 x 360 Pixel / ca. 75 Kb/Bild / chronologisch geordnet)
 
Als Ergänzung zum Logbuch gibt's hier eine Auswahl der besten Trans-Atlantik Fotos. (Beste Ansicht mit einer Bildschirm-/Fenstergrösse von mindestens 1280 x 1024 Pixel oder mehr.)

Montag, 1. Dezember 2003 16:11 UTC / 28° 28.017' N / 16° 15.000' W
      
  Letzte Vorbereitungen für die Überquerung des Atlantiks: Das ganze Schiff wird gecheckt, Markus überprüft jede Niete im Rigg, Angelina sorgt für Sauberkeit und Spass auf und unter Deck. Der Autopilot wird ausgetauscht, einige Elektrokontakte werden gereinigt. Schliesslich testen wir die Segeleigenschaften auf einem Probeschlag: Mann über Bord, Halse bei Windstärke 6. Wir sind zufrieden mit unserer Oceanis 411! Jetzt kann's wirklich losgehen, auch wenn uns niemand die letzte Nervosität nehmen kann.

 
Dienstag, 2. Dezember 2003 12:00 UTC / 27° 7.666' N / 17° 17.242' W
   
Nach dem Auslaufen am 1. Dezember konnten wir ein feines warmes Nachtessen bei einem guten Wein aus Teneriffa im Cockpit geniessen. Die erste Nacht mit exakten Wachen und Ablösungen nach Plan haben wir gut hinter uns gebracht. Die Kanaren und somit der Handy-Kontakt sind ausser Sichtweite. Guter Wind bis Stärke 7 (ca. 55 km/h) und entsprechend weniger gute Wellen von achtern bringen uns planmässig voran und unser Gleichgewichtsorgan etwas durcheinander. Am Morgen ein erstes Blister-Manöver macht uns noch etwas Mühe. Ansonsten macht uns die gut ausgerüstete und mit Lebensmitteln voll gepackte "Caipirinha" echt Spass.

Besten Dank für all die Glückwunschmeldungen,wir haben einmal im Tag eine "SMS-Vorlesestunde" auf Deck.

 
Mittwoch, 3. Dezember 2003 12:00 UTC / 25° 43.953' N / 19° 8.506' W
Inzwischen sind die letzten Zeichen von Seekrankheit vorbei, unsere Gleichgewichtsorgane an die Dreimeterwellen des Atlantiks gewöhnt. Dadurch verlagert sich der Lustgewinn immer mehr aufs Essen, wofür wir auch bereit sind, einiges an Akrobatik aufzuwenden: Der Teller mit feinstem Risotto auf den Knien wird mit der linken Hand festgehalten, in der gleichzeitig das Weinglas kardanisch fixiert wird, die Weinflasche klemmt zwischen den Waden, während die rechte Hand mit der Gabel eine Portion in den Mund schiebt, wenn sie nicht gerade dazu benötigt wird, sich an der Reling festzuhalten. Um den Wein zu geniessen, muss einfach das Glas mit der Gabel vertauscht werden, dabei ist die Konzentration auf die kardanische Aufhängung von der linken auf die rechte Hand zu verlagern.

 
Donnerstag, 4. Dezember 2003 12:00 UTC / 24° 29.722' N / 20° 41.388' W
   
Nach einer ruhigen und sternenklaren Nacht will auch am Morgen nicht richtig Wind aufkommen. Nach den Wellenbergen der letzten drei Tage staunen wir jedenfalls, wie schnell sich der raue Atlantik besänftigen kann. Wir nehmen die Verschnaufpause gelassen und konzentrieren uns auf andere Bordaktivitäten: aufräumen, noch mehr Schnüre und Laschen anbringen, so dass beim nächsten Unwetter wieder weniger Gegenstände herumfliegen, aber auch kochen und essen macht sehr viel weniger Mühe, was Koch und Mannschaft zu schätzen wissen. Ebenfalls die Neugier der Meeresbewohner wussten wir bereits auf uns zu lenken; während es eine Delfinfamilie bei einer Stipvisite beliess, fanden zwei prächtige Goldmakrelen den Weg in die Kombüse und kamen kurz darauf als delikates Carpaccio (Salz, Olivenoel, Zitrone, Peterli) auf den Cockpittisch.

 
  Freitag, 5. Dezember 2003 12:01 UTC / 23° 43.018' N / 21° 42.630' W
An Stelle unserer anfänglichen Gelassenheit gegenüber der plötzlichen Wetterberuhigung ist zwischenzeitlich eine mittlere Depression bei 24 stündiger Flaute getreten. Permanent schlagende Segel und eine errechnete Ankunft in der Karibik tief im Januarloch stellen die Nerven der Crew auf eine harte Belastungsprobe. Auch das morgendliche Bad bei 4000 m Tiefe vermag die stimmungsmässige Wende nicht herbeizuführen und es werden bereits wilde Szenarien im Zusammenhang mit dem Motoreinsatz und der Diselreserve entworfen und aber sofort wieder verworfen. Wir bräuchten dazu ca. 1'500 Liter, haben aber nur noch 250. Eine kleine Ermunterung bringt der Einsatz des Blisters, vermag dieses Leichtwindsegel unsere 12 Tonnen doch auf immerhin 2 bis 3 Knoten zu beschleunigen. Dies ist zwar nicht sehr viel, aber still stehen inmitten des Atlantiks mit derzeit unsicherem Ausgang ist für alle ein etwas befremdlicher Gedanke. Schlecht geht es uns dennoch nicht! Eine besondere Attraktion ist immer wieder die jeweils mittags von unserem Webmaster durchgeführte Mail- und SMS-Vorlesestunde, die mangels anderer Beschäftigung immer mit besonders grosser Spannung erwartet wird. Wetter- und Richtungstipps sind übrigens hoch willkommen.

 
Samstag, 6. Dezember 2003 12:10 UTC / 23° 9.921' N / 22° 14.165' W
    
Die Flaute ist nicht mehr so sauglatt wie sie aussieht. Sie nagt an unseren Nerven und am Diesel-Bestand. Verzweifelt bitten wir alle Wetterkarten- und Satellitenbilder-Kundige uns doch per SMS mitzuteilen, ab welchem Breitengrad wir aktuell mit dem Passatwind rechnen können. Einen Abstecher zu den Capverden, um Diesel zu bunkern, haben wir bereits ernsthaft in Erwägung gezogen. Dem Stimmungstief wirkt Ivo entgegen mit dem frisch gebackenen Grättimann und Grittibänz und die Tatsache, dass wir diese Nacht bei geborgenen Segeln und gesetztem Ankerlicht (Ankerkette war zu kurz) alle schlafen konnten. Sparmassnahmen werden auch beim Tankwasser ergriffen: Es darf nur noch mit Meerwasser Geschirr gewaschen und Zähne geputzt werden.

 
Sonntag, 7. Dezember 2003 12:00 UTC / 22° 13.878' N / 23° 47.200' W
   
Im Laufe des gestrigen Nachmittags ist langsam wieder etwas Wind aufgekommen und bläst uns, wie von euch eifrigen Wetterfröschen richtig prognostiziert, mit Stärke Beaufort 3 aus südlicher Richtung mit etwa 6 Knoten vorwärts. Gestern Abend konnten wir das Samichlaus-Festmenu la mode de Markus (im Ofen gebackene frische Goldmakrelen an Gemüse mit Reis) noch in relativer Ruhe geniessen. Doch heute mussten die hygienischen Aktivitäten wieder aufs Zähneputzen auf der Badeplattform begrenzt werden. Auf einen Diesel-Abstecher in die Capverden können wir indes vorerst verzichten. Somit steigt die Hoffung wieder, noch dieses Jahr in der Karibik zu landen. Damit dürften auch die Vorräte an Wasser, Lebensmitteln und Wein durchaus ausreichen.

 
Montag, 8. Dezember 2003 11:59 UTC / 21° 7.699' N / 25° 55.343' W
Guter Sound ist alles. Der sicherste Wert an Bord der „Caipirinha“ ist und bleibt eine super Soundanlage, bestückt mit einer gigantischen Musiksammlung in Form von MP3 Dateien. Eine Kollektion, um die uns jedes Luxus-Kreuzfahrtschiff beneiden würde: Nein, tut uns Leid „Hansi Hinterseer“ und die „Schürzenjäger“ sind leider nicht dabei, aber von Anastacia, B.B. King, Cocker über Davis und Jarett bis zu Zucchero, Züri West und ZZ Top ist alles vertreten, was in den letzten 40 Jahren in den Sparten Pop, Rock, Blues, Jazz und World Music eine Erwähnung wert ist.
Die gut 1000 CD’s (75 GB) werden nach Wunsch und thematisch auf die drei Apple iPod MP3 Player übertragen, welche dann in drei Schichten den lückenlosen 24 Stunden Musikbetrieb aufrechterhalten. Die 160 Watt Anlage
beschallt tagsüber Deck und Salon (für Navigatoren, Köche und Haushaltshilfen), in der Nacht dezent nur das Deck (für die Wachmannschaft und die fliegenden Fische). Heute zum Beispiel ist gerade Gianna Nannini-Night angesagt.
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt, versuchte doch ein Crewmitglied heimlich eine Original-CD des Schunkelbruders und Warmduschers Peter Reber („Diis Häärz isch mi Schmäärz“ oder so ähnlich) an Bord zu schmuggeln. Diese frevlerische Tat gegen den guten Geschmack hat nach einer Konsultativabstimmung von 4 gegen 1 die Einleitung von Sofortmassnahmen provoziert: 1. Der auf der „Caipirinha“ eingebaute Radio/CD-Player wurde sofort entfernt und durch ein Radio ohne CD-Spieler, dafür mit Audio-Eingang für unsere MP3-Player, ersetzt. 2. Noch im Hafen von Teneriffa wurde das Corpus Delicti, die Welt-Schmerz CD, unter den Klängen der Doors („This Is The End“) versenkt und auf Grund gesetzt. Besagtes Crewmitglied ist mit einer Strafe von drei zusätzlichen Nachtwachen noch einmal glimpflich davongekommen.

Gute und weniger gute Nachrichten. Die Gute: Wie Ihr alle vorausgesagt oder zumindest gehofft habt, weht uns ein stetiger Südwind mit durchschnittlich 6 Knoten nach Südwesten und damit in die richtige Richtung. Die weniger Gute: Wegen drohender Überkapazitäten und mangels sachgerechter Lagerungsmöglichkeiten musste die Fischerei mit sofortiger Wirkung eingestellt werden, was natürlich bei einigen Crewmitgliedern zu Unmutskundgebungen führte. Immerhin kam diese Massnahme einer kapitalen 5 – 6 kg – Makrele zu Gute, welche nach einer kurzen Auseinandersetzung am Heck wieder entlassen werden konnte. Nach den neusten schiffseigenen Ernährungsrichtlinien dürfen in der Küche nur noch innerhalb von 6 Stunden gefangene Fische (sortenunabhängig) verarbeitet werden ( für Carpaccio gelten nach wie vor die bewährten 30 Minuten). Dies erschwert natürlich die Anforderungen an die Fischer enorm, stellt aber auch eine Herausforderung dar, der wir uns gerne stellen. Heute beispielsweise wünscht der Koch Fisch für das Nachtessen, welcher noch nicht an Bord ist. Ich muss sofort an die Angel.
P.S. Wir sind leider technisch nicht in der Lage, individuelle Mails oder SMS zu versenden.

 
Dienstag, 9. Dezember 2003 12:00 UTC / 19° 38.933' N / 27° 30.619' W
Ein paar Worte zu den Zahlen. Die Temperaturen hier: Wasser 24.3°, Luft nachts 24°, tags 25°, Bier 25°, alles also nahe der physiologischen Behaglichkeitstemperatur von 26°. Kurs: 220°. Wind Beaufort 3 bis 5 oder 10-20 kn (Knoten) aus Sektor S bis SE. Die Geschwindigkeit ist variabel zwischen 5 und 9 kn. Für Nichtsegler bedarf diese Angabe allerdings noch einer Erklärung. Ein Physiker würde jetzt einfach umrechnen. 1 Seemeile gleich 1.852 Kilometer, 1 kn also 1.852 km/h, ergo segeln wir mit 10 bis 15 km/h. Doch wenn wir dies in unsere terrestrische Vorstellung umsetzten, so trifft es ganz und gar nicht den Punkt. Ich versuche deshalb, diese Geschwindigkeiten auch einem allfälligen Nichtsegler unter euch verständlich zu machen: Vier Knoten Fahrt ist zu langsam. Wir beneiden hier die Küstensegler, die in Reichweite der nächsten Dieseltankstelle einfach den Motor anknallen können. Fünf Knoten ist etwas zu wenig, Hochrechnungen lassen uns befürchten, dass unsere Flugtickets Guadeloupe-Basel verfallen werden. Sechs Knoten Speed lassen uns auf Weihnachten in Guadeloupe hoffen. Sieben ist gut, acht lässig. Wenn du mit neun Knoten eine Dreimeterdünung hinunter gleitest und sich die 12 Tonnen der Caipirina mega-leicht durchs schäumende Wasser surfen lassen, der Vollmond mit seinem kalten Licht unsere Welt zwischen Wasser und Himmel erglühen lässt, Gianna Nannini mit ihrer erotischen Stimme lauthals in die Nacht „voglio fare l’amore fino che fa giorno“ grölt, wenn dann dein Körper hinter dem Steuerrad vor Lust erzittert, dann fällt mir für neun Knoten nur noch der Begriff unserer Kinder ein, der uns vor 30 Jahren noch zum Erröten brachte: einfach geil!
Jeden Tag bekommen wir Besuch von unseren netten Meeresbewohnern. Heute begleitet uns eine Gruppe von etwa 30 bis 50 Delfinen. Sie springen neben dem Segelschiff spielerisch in Gruppen zu zwei, drei, ja fünf aus dem Wasser als wollten sie uns sagen: „Hey, ihr Papis, grüsst eure Kinder von uns und nehmt sie das nächste Mal mit!“

 
Mittwoch, 10. Dezember 2003 12:10 UTC / 18° 54.192' N / 29° 29.450' W
    
Nach Angelina hat nun auch der Autopilot das Handtuch geworfen, was sich vor allem auf die Stimmung auf Deck auswirkt. Seine letzten Worte (auf dem Display) waren unmissverständlich; er leide an schweren Mangelerscheinungen (wahrscheinlich eine ganz normale Überforderung nach dem 240 Stunden Dauereinsatz) und wolle sofort in die Obhut einer sachkundigen Sevicestation verbracht werden. Ich glaube, wir werfen ihn über Bord. Mit dem gemütlichen Beisammensein ist es jedoch definitiv vorbei, hängt ab sofort doch ein Mann permanent am Ruder und ist damit vom sozialen Bordleben quasi ausgeschlossen. Nur die absolut strikte Einhaltung des Wachplans stellt sicher, dass sich nicht plötzlich stabile Nichtsteuergemeinschaften bilden. Mit dem Ausstieg des automatischen Steuermannes hat uns auch der angeblich lieblich und stetig blasende Passat ein Müsterchen seiner Vielseitigkeit offenbart; seit heute Morgen um 4 Uhr bläst er mit zunehmender Stärke bis 30 Knoten aus Nord und beschert uns eine Rauschefahrt mit bis zu 9 Knoten Geschwindigkeit, was das Schreiben dieses Berichtes ( permanent bis 30 Grad auf beide Seiten wechselnde Lage) fast unmöglich macht. Dazu kommen die ernüchternden Politnachrichten aus der Schweiz (wer oder was wurde eigentlich nicht gewählt), durch welche das ursprüngliche Ziel Kuba bei der ganzen Crew wieder zunehmende Beliebtheit erlangt. Wir werden unseren definitiven Entscheid diesbezüglich sachgerecht und im gut scheinenden Zeitpunkt kommunizieren.
Übrigens bedarf es einiger Übung, unsere 12 Tonnen bei diesem Wind und Seegang von Hand in der richtigen Richtung zu Halten, wobei bereits jetzt Steuerfehler mit zumeist 4 (wenn keiner schläft) guten Tipps kommentiert werden. Auch die Ungeübtesten sind jedoch bereits jetzt sicher, dass die verbleibende Zeit bis Guadeloupe oder auch Kuba ausreichen wird, um sämtliche Finessen des Steuerns zu erforschen und zu beherrschen. Bis dahin einmal mehr Grüsse an alle, die unser Einsatz zwischen Himmel und Meer mit verfolgen.

 
Donnerstag, 11. Dezember 2003 12:00 UTC / 18° 40.725' N / 31° 39.654' W
    
Von fliegenden Fischen und fliegenden Fröschen – Begegnungen auf hoher See. Seit 10 Tagen sind wir nun auf dem Atlantik unterwegs und sind nur gerade drei Schiffen begegnet (zwei Segler und ein Containerschiff). Was wir hingegen nicht erwartet haben, sind die vielen Vögel, die wir täglich bei ihren eleganten Flugmanövern beobachten können. Verschiedene Mövenarten und kleinere, flinke Flieger in Formation kurven auf dem rauen Atlantik zwischen den meterhohen Wellenbergen auf und ab und halten Ausschau nach frischer Beute. Wir fragen uns, ob diese Tiere im Flug schlafen können, ob sie über Nacht „schnell“ an das fast tausend Kilometer entfernte Festland zurückkehren oder ob sie sich auf einem Stück „Zivilisationsmüll“ in Form von Plastikkanistern, Fetzen von Fischernetzen oder Treibholzresten, welche wir hier leider auch täglich begegnen, zum Ausruhen niederlassen. Selbst einen Schmetterling durften wir an Bord der „Caipirinha“ kurz begrüssen. Weniger als 1 Gramm schwer lässt uns dieser begnadete Windsegler bei seiner Ozeanüberquerung dennoch „links liegen“. Ein grandioses Naturschauspiel. Und wir, die wir 12 Tonnen an Schiff benötigen um das Meer zu bezwingen und uns trotzdem nie grösser als eine winzige Nussschale auf dem riesigen Atlantik fühlen. Fliegende Fische landen fast jede Nacht auf unserem Deck, aber ihr unweigerlicher Tod ist nicht sinnlos, werden die kleinen Fische am nächsten Tag mit grossem Erfolg als Köder an die Angel gehängt. Fliegende Frösche konnten wir bislang nur einmal beobachten – eine weitere Laune der Natur.

 
Freitag, 12. Dezember 2003 12:00 UTC / 18° 15.480' N / 33° 4.599' W
Zwischenzeitlich haben wir zwar die Passatzone erreicht und es weht seit 24 Stunden ein äusserst konstanter Wind aus östlichen Richtungen mit 8 – 11 Knoten. Dies bringt uns zwischen 2.5 und 3.5 Knoten Fahrt, was zunehmend zu einer erneuten Verdüsterung der Ankunftsprognosen führt. Permanent drehen sich die Gedanken um die noch zurückzulegende Strecke (1630 sm) und den Dieselvorrat (190 l) und wie wir es bewältigen sollen, die Meilen möglichst vor den Litern auf Null schrumpfen zu lassen. Aktuell müssten wir mit jedem Liter Diesel 8.6 sm zurücklegen können; realistisch sind aber nur 1.5 sm. Genügend Stoff für Grübeleien und Spekulationen!

Die für uns ungünstigen Wetterverhältnisse hinterlassen aber auch bei der Crew ihre Spuren. Nach der Starteuphorie mit täglich neuen Erfolgserlebnissen häufen sich derzeit kleine Gehässigkeiten und Seitenhiebe, und der Skipper hat alle Hände voll zu tun, um Koalitionsbildungen zu vermeiden. In diesen Zusammenhang gehört auch die unautorisierte Verwendung von Bildmaterial im Internet, was vorerst einen sofortigen und vollständigen Bilderstopp zur Folge hat.

Hoffnung lässt jedoch die von einem virtuellen Mitsegler übermittelte Position der MS Costa Romantica auf Überholkurs aufkommen, werden für dieses Treffen doch bereits umfassend Wunschlisten erstellt. Am meisten gefragt wären derzeit 2 – 3 Ersatz-Lautsprecherboxen (einige von unseren haben das überwältigende Musikprogramm nur kurze Zeit ausgehalten), eine neue Borduhr (der Grund für deren Dahinsiechen ist unbekannt), Lesebrillen (das Durchschnittsalter der Crew ist doch höher, als die Angaben bei der Anmeldung vermuten liessen), Olivenöl (Verbrauch exorbitant höher als erwartet und – nicht unbedingt erforderlich, aber für den sozialen Frieden auf dem Schiff zuträglich- etwas Rum und Eiswürfel. Lieber Kurt, vielleicht kannst du etwas nachhelfen. Vielen Dank.

 
Samstag, 13. Dezember 2003 12:10 UTC / 18° 8.151' N / 34° 48.299' W
   
Der schwache Wind vom Vortag hat weiter an Kraft und die „Caipirinha“ weiter an Fahrt verloren. Das wiederholt verantwortungslose Verhalten des Windes konnte nicht mehr tatenlos hingenommen werden und zwang die Crew noch gestern zum Handeln. Ab sofort wurde das für das Wetter verantwortliche Crewmitglied freigestellt, zugleich wurde eine BiUK (Bordinterne Untersuchungskommission) eingesetzt. Ferner, sowie in der Überzeugung, die richtigen Massnahmen ergriffen zu haben, wurde in Windeseile das Flautenende-Fest ins Leben gerufen und von Stapel gelassen.
A propos Fest: Heute windet es wieder fest; fest steht auch die neue Volltuchbesegelung mit Genua, Kutter- und Grosssegel (siehe Bild). Auch das Bergfest (Überschreitung des 39. Längengrades) rückt in absehbare Nähe. Einladung folgt!

 
Sonntag, 14. Dezember 2003 12:00 UTC / 18° 11.131' N / 37° 8.770' W
    
Gestern war der Tag der Fischer, welche bereits etwas in Verruf geraten waren, ausser Goldmakrelen, Verwicklungen und Sprüchen nicht wirkliche etwas zu Stande zu bringen. Nachdem bereits am Vormittag der erste echte Bonito gefangen werden konnte, musste die Mannschaft während der Mittagszeit dessen Verspeisung wegen erneutem Fischalarm unterbrechen und sah sich in der Folge in eine heftige Auseinandersetzung mit einem kapitalen Blauen Marlin (Länge über alles 1.55 m) involviert. Nachdem der Chef Unterhaltung ohne sich und Material zu schonen eine filmreife Szene an Rute und Rolle hinlegte, konnte die Beute am Schwert gepackt und sicher gelandet werden. Die Marlin-Steaks auf einem luftigen Reisbeet (nur zur Dekoration) schmeckten köstlich.
Die BiUK (siehe Bericht von gestern) hat übrigens ihren Bericht bereits erstellt und ist nach heftigen internen Diskussionen mehrheitlich zum Resultat gelangt, dass der Wetterfrosch nur bei tatsächlich falscher Prognose und nicht bereits bei lediglich falschem Wetter zur Verantwortung gezogen werden könne, was dessen vollständige Rehabilitation und die sofortige Wiedereinsetzung in Amt und Würden zur Folge hatte. Der Skipper lobte kurz die Qualität der geleisteten Arbeit und ordnete wiederum Alltag an.
Mit Alltag ist jedoch im Hinblick auf das nahende Bergfest nicht zu rechnen. Überwältigt von der riesigen Unterstützung und Anteilnahme an unserem Unterfangen (Namen siehe unten), wollen wir auch den Daheimgebliebenen die Teilnahme an diesem einmaligen Anlass ermöglichen und laden Sie alle dazu herzlich ein. Die Anreise hat individuell auf ca. 20 Grad Nord und präzis auf 39 Grad West zu erfolgen. Wer aus irgendeinem Grund nicht persönlich teilnehmen kann, ist aufgerufen, sich am extra dafür organisierten Wettbewerb zu beteiligen. Die Aufgabe ist verhältnismässig einfach: es gewinnt, wer die mutmassliche Überquerung des 39 Längengrades der „Caipirinha“ zeitlich am genausten zu bestimmen vermag und uns zum fraglichen Zeitpunkt ein SMS schickt. Jedes SMS wird automatisch mit einem Zeitstempel versehen, die Auswertung wird unkompliziert und eindeutig sein. Es winken schöne Preise. Korrespondenzen über diesen Wettbewerb und die Teilnahme von Angehörigen der Crew sind ausdrücklich erwünscht. Auch mehrfache Teilnahmen sind erlaubt. Die aktuelle Position ist ja jetzt bekannt, die momentane Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt genau 5.8375 Knoten…

Die Einladung geht an: Advokaturbüro MNVBZJ, Alain, Andi, Andreas, Andrej, Annemie, Annette, Barbara, Brigitte, Capt. Nikos, Caroline, Cässe, CDS-Team, Chrigel, Cilly, Claudia, Cyrill, Daniela, Dédé, Dimitri, Dominik, Doris, Emanuel, Gaudi, Guy, Husch, Jana, Jenny, Johanna, Kari, Kurt, Leo, Lori, Luki, Maggie, Margitt, Marietta, Martin, Nicole, Niggi, Niki, Nikolai, Noel, Paddy, Pascal, Patricia, Pesche, Peter, Phil, Pipi, Roberto, Roland, Rolf, Rolli, Ronnie, Sabi, Sandro, Silvia, Simonetta, Stefan, Susanne, Tatjana, Thomas, Tony, Torsten, Uli, Ulla, Urs, Vreni, Walter, Welli, Werner, Willi

 
Montag, 15. Dezember 2003 15:00 UTC / 18° 4.886' N / 39° 58.587' W
   
Bergfest um 06:31 (alle Zeiten UTC). Unseren Wettbewerb gewinnt Martin mit seinem Mail um 07:10, nicht weil der von ihm errechnete Zeitpunkt (05:45) sehr präzise gewesen wäre, sondern vielmehr, weil er offensichtlich den Sendezeitpunkt verschlafen hat. Herzliche Gratulation zum verschlafenen Sieg. An zweiter Stelle kommt Werner (07:12), dessen (erlaubte) Mehrfachteilnahme aber eher dem Glücksspiel zugeordnet werden muss, dicht gefolgt von Vreni (07:15). Andi (06:38), Pesche (07:00) und Caroline (06:00) waren mit ihren Berechnungen sogar noch besser, ihre SMS sind aber deutlich zu spät verschickt worden, sie gehen leider leer aus. Die Preise der Gewinner bringen wir nach Hause.
Wegen des etwas ungünstig gelegten Festzeitpunktes (Bordzeit 04:31) und weil wir bis dahin noch keine geladenen Gäste am Horizont ausmachen konnten, fiel die eigentliche Feier dann sehr schlicht aus. Ein verschlafener Händedruck der beiden wachhabenden Crewmitglieder bei stockfinsterer und verregneter Nacht musste genügen. Die andern wollten nicht oder nur bei Ankunft von Gästen geweckt werden. Das eigentliche Fest wird während der nächsten 14 Tage unter Einbezug auch zukünftiger Ereignisse und Höhepunkte im Rahmen der üblichen Bordaktivitäten gefeiert. Die Einladungen bleiben aufrecht. Präzise Positionsangaben auf Anfrage.
Die letzten 48 Stunden mit gleichmässigen Winden bis 25 Knoten haben Schiff und Mannschaft erheblich gefordert und letzte Zweifel beseitigt, dass wir uns nicht auf einer Kaffeefahrt befinden. Permanent 2 – 3 Meter hohe Wellen von Hinten führen zu sehr heftigen und in ihrer Art nicht voraussehbaren Schiffsbewegungen auf alle Seiten (das schiff rollt und stampft gleichzeitig), was jede auch noch so kleine Verrichtung zum konzentrierten Kraftakt werden lässt. Entsprechend überlegt man sich sehr genau, ob man nun etwas tun oder vielleicht doch in sicherer und verkeilter Position sitzen oder liegen bleiben soll. Meistens wählt man das Letztere, was zur Folge hat, dass auf diesem Schiff bei derzeit zunehmendem Chaos fast nichts mehr getan wird. Etwas wehmütig denkt man in dieser Situation an vergangene Flautentage zurück ohne Solch natürlich herbeizuwünschen.

 
Dienstag, 16. Dezember 2003 12:00 UTC / 18° 5.124' N / 42° 7.838' W
    
Unterschiedliches Wetter begleitet uns auf dieser Atlantiküberquerung. Konstant sind zwar die Temperaturen. Sie liegen zwischen 25 und 28°. Auch das Barometer bewegt sich kaum. Seit einigen Tagen bläst auch der Wind konstant mit etwa 5 bis 6 Beaufort aus Ost bis Nordost. Doch der Bewölkungsgrad wechselt täglich: Mal haben wir sternklaren Nachthimmel, dann wieder regnet es. Gefährlich ist die Sonne bei diesem Wind. Das bekamen drei Crewmitglieder zu spüren, die sich nicht genügend geschützt hatten: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen waren die Folgen. Drei Kranke gleichzeitig, das bringt auch den Wachplan recht durcheinander. Somit wurden die zwei verbliebenen Crewmitglieder auch in Mitleidenschaft gezogen. Zum Glück bietet der Autopilot aus Furcht, sonst über Bord geworfen zu werden, zur Zeit wieder seine Dienste an. So konnten die sonst doppelt besetzten Wachen zum Teil alleine gefahren werden. Doch inzwischen haben sich alle Kranken wieder erholt und sind wieder einsatzfähig.
Gestern Nachmittag begleitete uns etwa eine Stunde lang eine Gruppe von Walen. Diese riesigen, bis 8 m langen Meeressäuger schwammen meist knapp unter der Wasseroberfläche nur wenige Meter hinter, neben und unter uns. Sie wirkten bedächtiger und weniger verspielt als die Delfine. Sie streckten kaum je den Kopf aus dem Wasser. Wir waren schon froh, wenn wir mal eine Rückenflosse oder gar einen Teil des grauen Rückens zu Gesicht oder vor die Linse bekamen. Im Wasser schimmerten die Kolosse indes eher grünlich mit weissem Bauch. Es gab ein Rätselraten über die Art. Namen wie Grauwal, Potwal, Orca oder Killerwal fielen, doch wir konnten uns nicht einigen. Vielleicht hilft uns jemand zu Hause? Wenn diese schätzungsweise bis 8 t schweren Kolosse von backbord nach steuerbord wechselten, unter unserem Kiel durch, kam uns die Geschichte von dem Einhandsegler in den Sinn, der den Wassereinbruch in seinem Schiff auf einen Zusammenstoss mit einem Wal zurückführte. Er verlor sein Schiff, überlebte jedoch die 75 Tage auf der Rettungsinsel, bis er in der Karibik von Fischern an Land gezogen wurde und seine Erlebnisse in einem Buch veröffentlichte. Es beruhigte uns indes, dass wir bei unseren Walen keine Zeichen von Feinseligkeiten ausmachen konnten. Wir hatten denn auch beim ihrem ersten Gewahrwerden die Angelleinen eingezogen, um ihnen zu zeigen, dass hier Greenpeace-Sympathisanten an Bord sind.

 
Mittwoch, 17. Dezember 2003 12:00 UTC / 17° 57.316' N / 44° 32.959' W
    
Nichts Aussergewöhnliches mehr zu vermelden. Der Berg ist bezwungen und das nie endende Schaukeln wird schon gar nicht mehr wahrgenommen. Nur noch die in unregelmässigen Abständen immer wieder auftretenden grösseren Wellen, welche jeweils wieder sämtliche nicht gesicherten Gegenstände zu gefährlichen Flugobjekten machen, lassen uns kurz aufschrecken, meist jedoch nur, um diese – wenn noch ganz – an ihren alten Ort zurückzulegen oder eben zu entsorgen. Vor den Nahrungsmitteln werden uns auf jeden Fall das Geschirr und die Gläser ausgehen. Die Geschirrschränke sind bereits halb leer und die Gläser aufs Schärfste rationiert. Gleichzeitig darf nur noch ein Glas benutzt werden, womit der Verlust pro Nachtessen effizient auf ein Stück reduziert werden konnte. Möglicherweise wegen dieser Ereignislosigkeit konnten wir uns durchringen, dem sich seit 16 Tagen kontinuierlich ausbreitenden Chaos entschlossen entgegenzutreten. Das ganze Schiff wurde unter und auf Deck abgespritzt, was zu einer vielfältigen Spur im Kielwasser führte. Anschliessend hatten alle Crewmitglieder auf der Badeplattform zu erscheinen und wurden vom amtierenden Koch derselben Behandlung unterzogen, wobei dem Schlauchwasser (aus dem Meer) etwas der gesponsorten Reinigungsmittel beigegeben wurde. Das Resultat war für Schiff und Mannschaft verblüffend und vermochte die vereinzelt auftretenden Landsehnsüchte (wieder einmal ein kaltes Bier, wieder einmal auf einem Bürostuhl sitzen, der nicht schaukelt) grösstenteils wieder zu verdrängen. Immerhin wachsen die Spekulationen über den Landfall täglich, was wohl aufzeigt, dass die meisten von uns mehr oder weniger ungeduldig darauf warten. Irgendwann um Weihnachten dürfte es soweit sein.
Dank einem kompetenten Hinweis konnten übrigens die gesichteten Meeressäuger als Zwergwale identifiziert werden. Dies zum absoluten Leidwesen einzelner Crewmitglieder, welche vehement daran festhalten, dass es Riesen- oder aber zumindest gefährliche Killerwale gewesen sein müssen. Beeindruckend waren sie jedenfalls.

 
Donnerstag, 18. Dezember 2003 12:00 UTC / 17° 45.058' N / 46° 38.089' W
      
Donnerstag ist wie jeder Tag Bordalltag. Er beginnt um Mitternacht mit der Wachablösung. Die neue Wache hat unter anderem den Kurs zu überprüfen und unbedingt die Segelstellung der Vorwache zu verändern. wobei die neue Segelstellung nicht notwendigerweise Wirkung, immer aber ein originelles Logo der neuen Wache zeigen muss. Danach gilt es, den wieder genesenen Autopiloten bei guter Laune zu halten und auf den Bäcker zu warten. Um 04:00 beginnt dann auch des Bäckers Alltag: Teig für die ganze Crew herstellen und warten, bis Sonne und Teig aufgehen und Koch und Fischer an Bord erscheinen. Der Koch seinerseits gibt den Menuplan bekannt und befehligt die Fischer, ihre Arbeit entsprechend aufzunehmen und hinter den Angeln zu verharren, bis entweder der Erfolg eintreffe oder die einbrechende Nacht das Angeln verunmögliche. (In den letzten Tagen wurde der Arbeitsalltag der Fischer zum Missfallen der hungrigen und bis anhin kulinarisch verwöhnten Crew durch die einbrechende Nacht beendet). Einen ebenso spannenden und anstrengenden Alltag hat der Büchsenstampfer, der Wetterprophet, der Verantwortliche für Radar und Echolot und - nicht zu vergessen - unser Webmaster. So arbeitet jeder vor sich hin; Tag für Tag, Nacht für Nacht. Und was macht eigentlich der Kapitän? Der bereitet sich bereits auf die in den nächsten acht Tagen zu erwartende Ankunft vor. Dazu gehört insbesondere das Üben des Kapitänsschritts. Dieser Schritt soll den Damen an Land imponieren, ohne aufdringlich zu sein und gleichzeitig soll er Entschlossenheit ausdrücken, ohne aber die Herrschaften zu provozieren – wahrlich eine nicht einfache Aufgabe!

 
Freitag, 19. Dezember 2003 12:05 UTC / 17° 24.993' N / 48° 16.846' W
   
Heute ging der Mond erst um 05:23 UTC oder 02:23 Bordzeit auf, als kleine Sichel nur noch, jeden Tag fast eine Stunde später. Der grösste Teil der Nacht war also mondlos, das heisst sehr dunkel, wenn sich auch heute der Himmel weitgehend wolkenlos und mit seiner ganzen Sternenpracht präsentierte. So ist es nicht immer. Gestern hielt er sich bedeckt, zeitweise regnete es sogar sehr heftig. Da ist des dunkel wie in einer Kuh, man fühlt sich schon etwas unheimlich und ist froh, wenn man sich hin und wieder mit dem Radar vergewissern kann, dass sich im Umkreis von 12 Meilen kein Frachtschiff aufhält. Doch heute lud der prachtvolle Sternenhimmel zum Träumen ein. Träumen von Guadeloupe, vom Landfall. Schon komisch: Erst können wir es ein, zwei Jahre kaum erwarten, dass wir auf diesen Atlantik-Törn können, und kaum sind wir auf dem Atlantik, berechnen wir täglich die erwartete Ankunft, als könne dieser Törn nicht früh genug zu Ende gehen. Plötzlich wird dieses Träumen von einem schnaubenden Geräusch dicht neben dem Schiff unterbrochen: Delfine! Hier eine Rückenflosse, dort ein heller Schatten, der sich schnell unter der Wasseroberfläche bewegt. Dann wieder eine Sternschnuppe, ach, schon wieder zu spät, sich etwas zu wünschen, etwas mehr Wind vielleicht, oder wieder mal einen Wetterbericht aus der Schweiz…

 
Samstag, 20. Dezember 2003 12:00 UTC / 17° 11.878' N / 50° 24.136' W
Die lauen Winde zerren an den Nerven, nicht nur weil dadurch die an sich vorherrschende Ereignislosigkeit noch akzentuiert wird, sondern weil in diesen Stunden die Frage nach der möglichen Ankunftszeit immer wieder neu gestellt werden muss. Ist dies nun die letzte Flaute? Sollen wir unsere Dieselreserve dafür verwenden? Oder sollen wir uns einfach in Geduld üben und uns an den statistischen Daten halten, welche die Flautenhäufigkeit in dieser verlassenen Gegend mit lediglich 3% beziffern? Das sichere Wissen, dass auch seltene Konstellationen irgendwann stattfinden und dies durchaus auch jetzt sein könnte, holt uns immer wieder in die Realität zurück. Not macht aber bekanntlich erfinderisch und offensichtlich auch geschickt. Zwischenzeitlich wandeln wir mit immer noch besseren Segelkombinationen und Segeleinstellungen auch lausige 8 Knoten Ostwind in 4 Knoten Fahrt Richtung Guadeloupe um (der Passatstrom hilft dabei mit), womit totale Stillstände kaum mehr vorkommen. Überhaupt ist es gelungen, das vorhandene Segelwissen in den letzten 20 Tagen auszutauschen und einigermassen gleichmässig auf sämtliche Crewmitglieder zu verteilen. Die Dinge und Tätigkeiten haben allgemein verständliche Namen erhalten. Vorbei sind die Zeiten, als die vielen Leinen im Cockpit lediglich ein undurchschaubares Durcheinander darstellten und beim Versuch, die Genua zu reffen schon mal die Fock herunter fiel. Auch hört man Anordnungen, wie „zieh mal an der Blauweissen und lass gleichzeitig die Rotkarierte etwas los“ zunehmend seltener. Nein, wir haben unser Schiff zwischenzeitlich fest im Griff und dulden keinerlei Abweichungen. Es wird uns auch die letzten 660 sm stetig nach Westen tragen müssen. Nachher kann es dann wieder tun, was es will.

 
Sonntag, 21. Dezember 2003 12:00 UTC / 16° 54.215' N / 52° 48.713' W
   
Transatlantik 2003, die ersten 20 Tage - Ein schonungsloser Tatsachenbericht.
Wie dieser Entscheid, mit einer kleinen Segeljacht den Atlantik von Ost nach West zu überqueren, zustande gekommen ist, lässt sich im Nachhinein nicht mehr so genau herausfinden. Fest steht jedenfalls, dass einem nach 20 Tagen an Bord die eine oder andere Frage durch den Kopf geht. Um ehrlich zu sein, geht mir diese eine Frage bereits seit 20 Tagen nicht mehr aus dem Kopf, schon bald nach dem Verlassen des sicheren Hafens von Teneriffa war sie da:
Gibt es eine unbequemere Art zu reisen, ja, gibt es ein schlimmeres Fortbewegungsmittel um von A nach B zu kommen, als ein solches Schiff?
Verklausuliert sprechen die Seefahrer von "Knoten", um zu verschleiern, wie lächerlich langsam man sich mit einem Schiff bewegt. Kaum ein Fisch der so langsam unterwegs ist. Man könnte die Strecke zu Fuss fast gleich schnell zurücklegen und zugleich dem, mangels Bewegungsmöglichkeiten an Bord, unaufhaltsam fortschreitenden Muskelschwund "entgehen".
Die Schlafstätte auf der Yacht könnte jeder geräumigen Besenkammer den Rang ablaufen. Platz gibt's für nichts, zwei Personen können sich in dieses unaufhaltsame "Schaukelbett" hineinlegen und damit hat es sich. Es ist von Vorteil wenn sich diese zwei Personen schon etwas näher kennen, denn sie werden im Laufe der Zeit je nach Seegang unweigerlich unter und übereinander zu liegen kommen. Alle vier Stunden wird man übrigens auch aus der kompliziertesten Schlaf-Konstellation befreit, man wird nämlich nicht immer freundlich dazu aufgefordert für eben diesen Zeitraum auf Deck die Wache anzutreten.
Beim Schlafen ist das Ohr exakt auf der Wasserlinie platziert, so dass Nacht für Nacht Millionen Liter von Wasser sehr geräuschvoll aussen am dünnen Kunststoffrumpf daran vorbeirauschen, man könnte auch direkt unter den Niagara-Fällen campieren.
Apropos fliessend Wasser, das gibt's auf dem Schiff in Hülle und Fülle. Nur zwei kleine Einschränkungen: es fliesst nur waagrecht und nie senkrecht aus einem Brausekopf, zudem ist es, wie es Meerwasser so an sich hat, stark salzhaltig. Die Frischwasser-Reserve, mehrere hundert Liter, die wir mit uns führen, darf aus Sicherheitsgründen nicht angezapft werden. Die wird wohl im Zielhafen von Guadeloupe stillschweigend abgelassen, aus Sicherheitsgründen versteht sich, denn mittlerweile ist das süsse Wasser "verfault".
Auch der Wind pfeift meist sehr laut durch die Segel, und tut er dies alle paar Tage sehr zum Verdruss aller einmal nicht, ist schnell die starke Dünung zur Hand und lässt alle paar Sekunden die Leinen und Segel so massiv gegen die Masten knallen, man könnte meinen, es wären Kanonen- und Gewehrschüsse. Dieses akustische Vollprogramm wird genau dann noch ergänzt, wenn es einmal wirklich still sein könnte. Bei Windstille und mit eingezogenen Segeln dröhnt, rattert und stinkt der Schiffsdiesel stundenlang vor sich hin. Der Motor befindet sich natürlich direkt neben der Schlafkammer, wo denn sonst? Oder müsste man ehrlicherweise sagen, die Schlafkammer befindet sich in einer ungenutzten Ecke des Motorraumes?
Vom ewigen Schaukeln und Stampfen wollen wir lieber gar nicht reden - ruhig ist es jedenfalls nie. Selbst dem Gleichgewichtsorgan ist es inzwischen völlig egal, ob der Horizont alle paar Sekunden fast Kopf steht. Bewegungen sind nur mit Hilfe aller vier Extremitäten möglich. Die kleinste Handlung kann zur Qual werden.
Aber das Schlimmste an dieser ganzen Misere ist, täglich treffen Mails und SMS mit Glückwünschen ein von Leuten, die bequem zu Hause in der warmen Stube sitzen und sich scheinbar nichts sehnlicher wünschen, als auch bei uns sein, die uns um jeden Preis um unsere "paradiesische" Situation auf hoher See beneiden.
Sitze ich auf dem falschen Boot oder was?
Vom Schiff aus betrachtet sieht die ganze Welt eben doch ganz anders aus. Nach ein-, zwei Monaten Festland würde ich wohl, in völliger Ignoranz der eben geschilderten Tatsachen, wieder erwartungsfreudig "Ja" sagen zum nächsten Segelabenteuer.

 
Montag, 22. Dezember 2003 12:00 UTC / 16° 45.510' N / 55° 1.563' W
   
Windig ist’s (bis zu 31 Knoten), und die „Caipirinha“ mit ihrer Besatzung kommt gut voran. Auch die Stimmung an Bord ist – obwohl der gestrige (im Übrigen absolut korrekte) Bericht diesbezüglich hätte Zweifel aufkommen lassen können – nach wie vor gut. Dies mag erstaunen, aber offensichtlich sind die äussern Umstände nicht das Spiegelbild des seelischen Wohlbefindens der fünf Männer im Boot. Erklärungsbedarf tut Not:
Als erstes werden die äussern Umstände von der verschiedenen Crewmitgliedern unterschiedlich empfunden mit der Folge, dass an Bord keine kollektive Depression, aber auch keine das ganze Boot erfassende Euphorie entsteht. Als Beispiel möge das Schaukeln des Bootes gelten; die einen hassen es, andere fühlen sich im schaukelnden Boot wie ein satter Säugling, der in den Schlaf geschaukelt wird. Dann als weiters Beispiel das Wetter; Einige verfluchen den gelegentlich über den Atlantik und das Boot niederprasselnde Regen, nicht aber der Versorger. Stolz (und genüsslich den Neid der Restcrew einatmend) präsentiert er dann sein gelbes, luft- und wasserdichtes Ölzeug, das ihm an Land nur Spott bescherte.
Zweitens: Die verschiedenen Zünfte und andere Seilschaften brechen die Spitzen der individuellen Empfindlichkeit, was zu einer Gruppenreise, wie es die Atlantiküberquerung nun einmal ist, gehört. Erwähnt sei nur die Fischerzunft. Ihre anfänglichen Erfolge und nun seit Tagen anhaltenden Misserfolge fördern die Anteilnahme – letztere leider auch den Hunger – der Restcrew.
Drittens: Nicht zu vergessen ist der Wind: er ist’s, der dicke Luft an Bord erst gar nicht aufkommen lässt und – sollte er einmal ausbleiben – so herrscht(e) bis zur Einführung des berüchtigten Flautenende-Festes wirklich dicke Luft. Seither aber ist das Wohlbefinden der fünf Männer garantiert.

 
Dienstag, 23. Dezember 2003 12:10 UTC / 16° 28.733' N / 57° 24.486' W
   
Noch gut 200 Seemeilen bis nach Guadeloupe und die Euphorie wächst. Den Heiligabend zwar werden wir noch auf hoher See verbringen, doch am Weihnachtstag, das scheint festzustehen, werden wir wieder mit festem Boden unter den Füssen erleben. Der Diesel-Vorrat würde auch reichen, ohne Wind an Land zu kommen. Phantasien werden wach, alle Sparmassnahmen über Bord zu werfen, den Kühlschrank wieder in Betrieb zu nehmen um den Anleger-Drink zu kühlen und vor allem unseren Weihnachtsbraten, sollte er bereits heute und nicht erst morgen an Bord gezogen werden, nicht verderben zu lassen. Wenn überhaupt: in den letzten Tagen mussten unsere Angler nur Verluste entgegen nehmen, die Köder werden abgebissen, aber keine Fische an Bord gezogen. Auch das frische Gemüse ist vorbei, wir ernähren uns vorwiegend von Konserven. Das Mehl, mit dem wir unser tägliches Brot backen wollten, stellte sich als irgend sonst was raus, nur kein Mehl. Das Brot sah zwar hübsch und gesund aus, war jedoch ungeniessbar. Vermutlich hatte sich Gips oder eine Spachtelmasse aus der Do-it-yourself-Abteilung unter unseren Mehlvorrat gemischt. Unklar bleibt, warum ein Wort auf dem Plastiksack laut spanischem Taschenwörterbuch zu deutsch Weizen heisst. So gibt’s zum Morgenessen halt Müesli und Rührei! Fast wolkenloser Himmel und tiefblauer Atlantik mit schneeweissen Schaumkronen rundum bei 28° Lufttemperatur gleichen alles wieder aus. Ein Zwergwahl macht Luftsprünge nur wenige Meter neben uns! Aber vergessen wir bei allem Übermut eines nicht: bis vor einem Monat war noch keiner von uns je 200 Seemeilen von jeglichem Land entfernt auf einem Segelboot!

 
Mittwoch, 24. Dezember 2003 12:02 UTC / 16° 24.968' N / 59° 32.327' W
  
Vorweihnächtliche Ankunftsstimmung. Ruhiges Wetter, festlich dekoriertes Schiff und frisch gebackenes Brot zum Frühstück. Die etwas unruhige Welt der letzten 3 Wochen gerät zunehmend wieder in ihre alte Ordnung. Wie die drei Könige sind auch wir den Gestirnen gefolgt, zwar nicht auf der Suche nach dem Christkind, aber durchaus auch auf der Suche nach neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Am Morgen die Sonne im Rücken, am Abend im Gesicht, nach dem Eindunkeln der Nordstern zur Rechten und das Kreuz des Südens zur Linken und ab und zu eine Mittagsbreite lassen unsere natürlichen Zweifel gegen das amerikanische Verteidigungsministerium zunehmend schwinden, dass die über GPS empfangenen Daten tatsächlich verlässlich sind. Zu den Erfahrungen: eine Atlantiküberquerung ist definitiv keine Kaffeefahrt. Relativ raue Witterungsverhältnisse (angenehm und konstant ist nur die Temperatur) verbunden mit permanentem Schlafmanko (bei nicht ganz optimalen Unterkunftsbedingungen; siehe Bericht vom 21.12.03) liessen die Crew immer wieder ihre physischen und psychischen Grenzen spüren. Doch wer Grenzen wirklich erfahren will, tut gut daran, diese gelegentlich zu überschreiten. Dies haben wir mit mehr oder auch weniger Begeisterung verschiedentlich getan. Zu den Erkenntnissen: die Welt ist immer wieder anders, als man denkt. Faszinierend, wie die zumeist ichbezogene Wahrnehmung einer weitgehend Sach- und Umgebungsbezogenen weicht, nachdem man während dreier Wochen als unscheinbares Nichts auf den Weiten des Atlantiks umhergeweht worden ist. Faszinierend auch, welch reinigende Wirkung ein tropischer Gewittersturm haben kann, welcher innert Sekunden unsere zumeist fein säuberlich geordnete Gedankenwelt zur Bedeutungslosigkeit verkommen lässt und einem ungläubigen Staunen Platz zu machen vermag. Alles immer wieder Anlass, die eigene Situation zu hinterfragen und da und dort einen Neuanfang oder Neueinstieg zu versuchen. Wie auch immer; die zunehmende Gewissheit über ein festliches Essen an einem waagrechten und stillstehenden Tisch ohne künstlichen Horizont reicht derzeit bei Weitem aus, um allfällige Mühseligkeiten unserer Reise vergessen zu lassen.

 
Donnerstag, 25. Dezember 2003 12:22 UTC / 16° 14.167' N / 61° 31.783' W
  
Land in Sicht und Hafeneinfahrt. Es ist genau 02:34 UTC als der Maat aus dem Mastkorb ruft „Land in Sicht“ (wer in die luftigen Höhen steigen musste, wurde bereits beim vorabendlichen Weihnachts-Käsefondue durch „Brotverlust“ bestimmt). Wir sind nun an der ersten, östlich vorgelagerten Insel von Guadeloupe angekommen. Bis zum Zielhafen „Marina du Bas du Fort“ (Lagon Bleu) sind es noch 44 sm. Dort wird die „Caipirinha“ zumindest für die nächsten paar Tage fest vertäut.

Wie bei keiner anderen Reise kann man bei dieser Atlantiküberquerung sagen: „Nicht Guadeloupe (oder irgendein anderer Ort), sondern der Weg war das Ziel“ (siehe Logbucheinträge 1 bis 24). Deshalb wollen wir über Guadeloupe auch nicht viele Worte verlieren – wir werden die nächsten paar Tage in der Karibik einfach geniessen und uns von den Anstrengungen der letzten Wochen erholen.

Besten Dank für die vielen unterstützenden, lustigen und informativen SMS und Mails – ohne welche eine erfolgreiche Überfahrt viel schwieriger gewesen wäre – wer weiss, ob sie uns überhaupt gelungen wäre?
Ein besonderer Dank geht an unsere Internet-Homebase: An Caroline Marchand, welche die E-Mails in Zürich, Bombay und zuletzt noch in Miami gefiltert, zusammengefasst, kommentiert und in unserer eigenes MessageBoard-System umgeleitet hat, und Peter Thomet, welcher die Internet-Programme entwickelt und den Webserver unterhalten hat. Die schwierige Technik wurde bravourös gemeistert. Selbst der Ausfall einer Festplatte in einem Internetserver an einem Sonntagnachmittag führte nur zu einem Ausfall einiger Web-Seiten von ein paar wenigen Stunden. Die speziell für die Atlantiküberquerung entwickelten Programme (Position und Logbuch) haben die Feuertaufe bestens bestanden.

So, das war der letzte Logbucheintrag. Die Transat-WebSite wird sicher noch eine Weile zugänglich sein. Anfang Januar, sobald wir wieder im Besitze von „anständigen“ Datenleitungen sind, werden wir das Logbuch mit neuen, grösseren und qualitativ besseren Fotos ergänzen.
Das Satelliten-Telefon lassen wir noch bis zum 29. Dezember 2003 eingeschaltet, die E-Mail Adresse (transat@gmx.net) bleibt noch bis Ende Januar 2004 in Betrieb.

Ach, fast hätten wir’s vergessen: Günstig abzugeben, fünf Hochsee-Segleranzüge, farblich assortiert, alle mit Transatlantik-Erfahrung, sowie zwei grosse Büchsen „Chili con Carne“.